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Fotograf Guy Meyer „Bilder sind stärker als Wörter“

Jedes Wort lässt ein Bild entstehen. Ob die Bilder, die den Diskurs bestimmen, virtuell oder reell sind, diese Frage stellt sich für den Straßburger Fotografen Guy Meyer nicht: Ein Bild ist immer beides. Der Text aber ist machtlos gegenüber dem Bild. Von Michael Magercord.

Zum Verständnis der Bildbetrachtung dient Guy Meyer eine gewagte Eingangsaussage: Zwei Krankheiten hätten das Auge befallen: Atheismus und Religion. Das heißt: Ein Atheist sieht zwar tausend Dinge am Tag, aber keinen Tag.

Er vermag die Zusammenhänge zwischen all den Eindrücken nicht mehr herzustellen und misst jedem Eindruck Realität bei – und genau das ist die Art, wie unsere Gesellschaften heute mit der Bilderflut umgehen beziehungsweise darin untergehen.

Die Epoche des Wortes endet

Guy Meyer gilt als einer der wichtigsten Theoretiker der Bildrezeption von Fotografie. Er wirbt für sein Fach: „Es ist heute die wichtigste Disziplin, um dem Wesen unseres Zeitalters auf die Spur zu kommen.“ Der Epoche nämlich, in der das Bild das Wort als Träger des kollektiven Gedächtnisses und des gesellschaftlichen Diskurses wenn zwar nicht ablöst, so doch mindestens gleichrangig beansprucht.

Ein Foto ist aber kein Abbild der Realität, im Gegenteil, es ist der Zusammenbruch der Realität. Allerdings erlaubt uns jedes Bild, das unsere Wahrnehmung erreicht, einen Blick in die eigene Narretei, denn diese Bilder wirken wie Spiegel.



Guy Meyer, Jahrgang 1955, ist ein emeritierter Professor für Fotografie, Bildlehre und Multimediadesign der Universität Paris-Sorbonne und hat sich seither an vielen Bildungsprojekten für den Medienunterricht beteiligt.

© Deutschlandfunk, Essay und Diskurs, 15.5.2023

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