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Stille bei Konzerten „Das große Husten“

Von Zeit Online. Räuspern, Bellen, Prusten: Nirgends fällt uns das Schweigen schwerer als im Theater oder im Konzert. Warum bloß? Von Antonia Baum, Jens Jessen, Peter Kümmel, Christine Lemke-Matwey und Moritz von Uslar.

Die Bühnenkunst ist, rein soziologisch gesehen, eine von vielen Gelegenheiten, bei denen Menschen sich in gegnerische Gruppen aufteilen. Theater, Oper, Konzert – diese Kunstformen leben von der strikten Trennung zwischen denen, die auf der Bühne stehen, und denen, die unten im Saal zusehen beziehungsweise zuhören.

Fast zwangsläufig ergibt sich daraus, dass die Geschichte der Bühnen- und Konzertkunst eine Geschichte der Störung ist. Das Publikum ist nicht still, es applaudiert an falschen Stellen, und vor allem: es hustet. Künstler, empfindlich gestört, reagieren je nach Temperament mit Wut, stiller Fassungslosigkeit, Erstarrung. Kürzlich haben sich wieder einmal zwei prominente Musiker, der Dirigent John Eliot Gardiner und der Pianist Grigori Sokolow, darüber beschwert, von hustenden Zuschauern entscheidend gestört worden zu sein.Doch an dieser Stelle soll eine Lanze für das Husten gebrochen werden. Wir behaupten: Es ist ein Laut der äußersten Verfeinerung, ja eine Kulturleistung. Eine dunkle, konspirative Art der Kommunikation. Der Mensch im Theater lässt sich darauf ein, dass für die kommenden zwei oder sechs Stunden (Letzteres in Inszenierungen Frank Castorfs) andere sprechen und er schweigen wird. Aber halt, eine Ausdrucksform bleibt ihm: er hat noch seinen Husten. Er ähnelt darin einem Autofahrer im stockenden Abendverkehr, der stumm in seinem Wagen sitzt und auf seine Hupe angewiesen ist, um auf sich aufmerksam zu machen. Das Husten ist gewissermaßen die Hupe des Theater- und Konzertgängers.



© Zeit Online, Kultur, 17.6.2023

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