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„Hunger“ Hörspiel nach dem Roman von Knut Hamsun

Zur Weltliteratur zählt ohne Zweifel der Roman „Hunger“ des Norwegers Knut Hamsun. Der Schriftsteller Hamsun, 1859 geboren und 1952 gestorben, steht jedoch bespielhaft für den nicht aufzulösenden Widerspruch zwischen Leben und Kunst, Werk und Autor. Ihn identitätstheoretisch aufheben zu wollen, entspräche einer Simplifizierung dieses komplexen Widerspruchs.

Knut Hamsun erhielt 1920 den Nobelpreis für Literatur. Er sympathisierte später mit den Nazis. Sein Roman „Hunger“ von 1890 gilt wiederum als radikaler Meilenstein moderner Prosa.

Im Zentrum steht ein junger Mann, der Künstler werden will. Und dieser namenlose Mann erzählt vom eigenen sozialen Abstieg in Kristiana, dem heutigen Oslo. Arbeitslos, gedemütigt, nervös und überempfindlich, sich stolz dem Betteln verweigernd, verzweifelt mit Gott hadernd und doch nach ihm sich sehend, bezeugt die Figur, vom Hunger beinahe in die völlige geistige Auflösung und physische Vernichtung getrieben, die existenzielle Verlassenheit des Menschen. Oder wie der Philosoph Georg Lukács es nannte: Hamsuns Held ist gezeichnet von der „transzendentalen Obdachlosigkeit“ nach dem Tode Gottes. Als menschliches Wrack bleibt dem Ich-Erzähler im Hafen von Kristiana nur noch die Hoffnung, dass ihm die Flucht übers Meer nach England gelingen möge. Mit diesem offenen Ende bricht der Roman ab. 

Der Literaturkritiker Hajo Kesting notierte nach erneuter Lektüre des Romans im Jahr 2016, Zitat: „Die Beschreibung des Hungers und des nackten Existenzkampfes, die ungemein einprägsame Wirklichkeitsschilderung lässt einen Schriftsteller des Naturalismus vermuten. Doch nicht die soziale Komponente des Hungers steht im Vordergrund, sondern es sind seine psychischen Auswirkungen, die Ekstase, die Gewalt der Fieberphantasie, die Spannung zwischen dem verfallenden Körper und der sich leidenschaftlich zur Wehr setzenden Seele, die Hamsun zu erfassen sucht. Das durch den Hunger ebenso geschwächte wie gesteigerte Wahrnehmungsvermögen führt den Ich-Erzähler zu quälenden Selbstreflexionen.“

Die minutiös beschriebenen Selbstreflexionen der Hauptfigur sind dabei nicht fern vom Grotesk-Komischen und sie nehmen mehr Zeit in Anspruch als diese in Sekunden stattfindenden Prozesse der Identitätsauflösung selbst. Hamsun markiert dabei genau einen Aspekt moderner Prosa, in dem die Erzählzeit im Roman sich dehnt und länger ist als die erzählte Zeit, also das, was geschieht. Zugleich werden weder psychologisiert noch erklärt die Verwirrungen und Irrungen. Hamsuns Roman von 1890 öffnet gleich mehrere Türen in die literarische Zukunft – in die Moderne von Impressionismus, Surrealismus und Existenzialismus. Und er ist ungemein spannend geschrieben.

Für die SDR-Produktion aus dem Jahr 1961 konnte damals der große österreichische Theater- und Filmschauspieler Oskar Werner verpflichtet werden. Er war in Filmen von Max Ophüls oder Stanley Kramer zu sehen. International berühmt machten ihn die Hauptrollen in François Truffauts „Jules et Jim“ und „Fahrenheit 251“. Trotz seines Erfolges blieb die Auseinandersetzung mit der Weltliteratur eine von Werners großen Lieben; und so arbeitete er immer wieder bis zu seinem Tod 1984 im Hörspiel oder tourte als Rezitator.



„Hunger“ Hörspiel nach dem Roman von Knut Hamsun
Mit: Oskar Werner
Hörspielbearbeitung: Fritz Ludwig Schneider
Regie: Claire Schimmel
Produktion: Süddeutscher Rundfunk 1961

© SWR 2, Hörspiel, 2.4.2023

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