Release Tipps

Jochen Kleinhenz Release Tipp: Noise of Cologne 3 / Reihe M

Zufall? Da werden meine Februareinsichten ganz von Köln geprägt … und ein paar Tage später landet dann diese neueste Zusammenstellung aus Köln hier bei mir. »Noise of Cologne setzt die Reihe fort, die 2010 bzw. 2013 schon mit je einer CD einen Überblick über die eher experimentellen Kölner Klänge bot.



Aber nicht nur die Latenz zwischen Ausgabe zwei und drei – immerhin 11 Jahre – verweist auf einen dezenten Bruch im Konzept; auch die Art der Zusammenstellung orientiert sich nicht an den Vorgänger-CDs mit 17 bzw. 16 Tracks, sondern erinnert mit ihren 73 (!) maximal einminütigen Miniaturen (der kürzeste Track, von Tobias Hartmann beigesteuert, dauert gerade mal sechs Sekunden) eher an solche Compilations wie Morgan Fishers »Miniatures« (das Original-Album von 1980 enthielt 51 Stücke) oder »Voices, Notes & Noise« (1984), wo sich 27 Stücke fanden, von denen die Hälfte unter, die andere Hälfte knapp über zwei Minuten Spielzeit boten (lediglich Nurse With Wound »überzogen« auf dieser LP mit 3:08 etwas).

Nun gibt es genügend valide Argumente gegen Compilations (statt ganzer Alben eine Sammlung einzelner Tracks, die unter ein nachgereichtes Thema »gezwungen« werden; Resteverwertung; usw.), gegen einminütige Stücke (manchen reicht eine Minute noch nicht mal als Intro – wie soll da ein ganzes Musikstück abbildbar sein?) und gegen die CD ganz allgemein (die seit Jahren rückläufigen Verkaufszahlen von CDs im Vergleich zu Vinyl-LPs oder – Überraschung – Kompaktkassetten beruhen ja nicht nur auf meinen ganz persönlichen Vorlieben, sondern belegen einen generellen Trend). »Noise of Cologne 3« umschifft sie nicht nur alle elegant, sondern wendet jeden dieser möglichen Einwände in sein positives Gegenteil: Da die Intention der Zusammenstellung ein (unverbindlicher, nicht erschöpfender) Querschnitt ist, eine Momentaufnahme, muss es nicht nur die Zusammenstellung sein statt dem ganzen Album – auch in der Kürze liegt diesmal tatsächlich die Würze. Mein Gedankengang wird möglicherweise klarer beim Blick auf die drei Cover der CDs – auf der ersten (2010) ist eine Brache zu sehen, die rauchenden/dampfenden Schlote im Hintergrund verweisen wie die Brache vorne auf das Spannungsverhältnis von »Kultur« und »Natur« und bedienen sich dabei einer Ikonographie (Industrie), die in den frühen 1980ern sehr prägend war (Industrial, erste Generation) und sich wiederum auf das »Maschinenzeitalter« (19. und frühes 20. Jahrhundert) bezog. Auf der zweiten CD (2013) dominieren Betonbauten, wie sie sich ab den 1960ern im Wohn- und Verwaltungsneubau breitmachten, den Bildhintergrund, während vorne viel Grün zu sehen ist – nicht Natur, nein, aber doch schon halber, geplanter Wildwuchs, der sich gegen die geometrischen Fassaden zu behaupten versucht. Auf der aktuellen CD (2024) ist die Kultur im Hintergrund fast vollständig verdeckt vom Gestrüpp im Vordergrund, es scheint leichter zu sein, in dieses Gestrüpp hinein zu kriechen, als die Häuser im Hintergrund, von denen nur noch ein paar Fenster zu sehen sind, zu erreichen. Wo der Rauch bzw. Dampf des ersten Covers immerhin noch menschliche Aktivität anzeigt, wirkt das zweite Cover schon ambivalent (es ist nicht sicher, ob hier noch Menschen sind – auch wenn sie noch nicht lange fort sein können, noch sieht alles bewohnt aus). Zwar besteht beim aktuellen Cover weniger Zweifel daran als beim Vorgänger, dass das Haus im Hintergrund bewohnt ist – es scheint allerdings unerreichbar …

… stattdessen lockt das Unterholz, setzt allerdings etwas Willen voraus, sich einen Weg dadurch zu bahnen. Gleiches gilt für die CD: Die Tracks sind stur alphabetisch (nach Vorname der Künstler:innen) angeordnet – das funktioniert sogar erstmal erstaunlich gut, denn bei aller Verschiedenartigkeit (menschliche Stimme hier, elektronisches Geräusch dort, mal rhythmisch akzentuiert, mal nur nach Tonbandgerätbrummen klingend) ergeben die Stücke einen eigenartigen Flow, wirken eben nicht, als ob 73 völlig unterschiedliche musikalische Ideen beliebig aneinandergereiht wurden, im Gegenteil. Und hier nun kann das Medium CD seinen großen Vorteil gegenüber den genannten Formaten LP oder Kassette ausspielen: den Shuffle- oder Zufalls-Modus. Schon klar: Playlisten und andere rein digitale Formate können das natürlich auch – aber um den (für Leute wie mich: zu) hohen Preis der verlorenen Fokussierung auf diese eine Zusammenstellung … Werbung bei Gratis-Accounts der Streamingdienste ist ja nur ein Übel für diejenigen, die nicht zahlen, aber die Penetranz, mit der vermeintliche künstliche Intelligenz immer noch mehr liefern will (nach dem strunzprimitiven Motto: »Wenn dir X gefällt, dann hör doch mal bei Y rein«), ist eigentlich ja eine Beleidigung echter Intelligenz, Infantilisierung durch permanente Stimulation unter dem Deckmantel des allumfassenden, vermeintlich endlosen Angebots.


Leider gibt es noch nichts Hörbares von Cologne 3, deshalb hier was Cologne 2. Damit bekommt ihr einen gewissen Höreindruck.

Ich würde also folgendes empfehlen: Die CD unbedingt im Shuffle-Modus anhören – am besten zwei Exemplare (oder mehr) gleichzeitig – dann werden die Miniaturen nicht nur in neuen Abfolgen nacheinander gespielt, sondern könnten sich auch untereinander in einen Dialog begeben und aus zwei Zutaten mehr als die Summe der Einzelteile kreieren: Ein mehrstimmiges Sprechen, Brummen, Klopfen, Summen, wie es möglicherweise im Unterholz auf dem CD-Cover erklingen könnte. Keine Sorge: »Wilde Tiere«, also Ausreißer aus den überwiegend klanglich entspannten Miniaturen, gibt es nicht – wohl aber den einen oder anderen Dorn, der durchaus pieksen kann. Neben einigen bekannteren Namen – Achim Mohné, Frank Dommert (der wieder für die Zusammenstellung der CD verantwortlich zeichnet, zusammen mit Dirk Specht), Harald Sack Ziegler, Nils Quak oder Schlammpeitziger –, die teilweise schon seit Jahrzehnten immer wieder eher experimentelle Tonträger veröffentlichen, gibt es hier viele (für mich völlig) neue Namen zu entdecken. Hier wäre etwas mehr Info (Einzelportraits statt nur einem einleitenden Text) vielleicht hilfreich gewesen – nicht alle haben eine Website (bzw. Bandcamp- oder Instagram-Account), und nicht jede Webadresse ist noch aktuell. Trotzdem gibt es online genug zu entdecken, wenn man den auf dieser CD gelegten Spuren folgt. Hier wird zumindest der Begriff »Subkultur in Köln« wieder vom Kopf auf die Füße gestellt und muss nicht, siehe »Wir waren hochgemute Nichtskönner«, als billig zu habendes Etikett für letztlich überwiegend kommerziell orientierte Unternehmungen herhalten. So ist diese dritte Compilation Joachim Ody gewidmet, der 2022 im Alter von 70 Jahren verstorben ist – einem Urgestein der Kölner Subkultur, den ich Anfang der 1990er (während meiner Jahre bei Recommended No Man’s Land/Würzburg) bemustern und als leicht schrägen, aber (musikalisch, kulturell) unerschrockenen Typen kennenlernen durfte. Ich kann mich nicht erinnern, seinen Namen im Buch von Gisa Funck und Gregor Schwering gelesen zu haben …



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