R.I.P. Charles Gayle (1939-2023)

Am 5.9.23 ist Charles Gayle gestorben. Ich habe ihn bei den Leipziger Jazztagen live erlebt. Peter Kowald hatte ihn als Straßenmusiker entdeckt und nach Europa geholt. Und so stand er da, in einem Anzug, dem man seine Lebensumstände ansah, und mit einem wütenden Blick. Das hat mich sehr beeindruckt. Sein Saxofonspiel war ein einziger Schrei!

„Charles war in gewisser Weise eine Legende“, sagte William Parker 2019 gegenüber JazzTimes, als er über Touchin‘ on Trane, sein 1993er Album mit Gayle und dem Schlagzeuger Rashied Ali, reflektierte. „Musikalisch hat er diese Energie – eine elektrische, akustische, organische Energie, die aus seinem Horn kommt. Und jeder, der es hörte, sagte, man könne die ganze Geschichte des Saxophons darin hören: Sonny Rollins, Albert Ayler, Coltrane. Aber es war Charles.“

Gayle war ein gläubiger Mann, manchmal sogar sehr konfrontativ. Auf der Bühne hielt er apokalyptische Predigten, während seine Band musikalisches Feuer spuckte. Gospelmusik war ein ebenso wichtiger Prüfstein wie Coltrane. Viele seiner Song- und Albumtitel stammten aus der Bibel oder waren von ihr inspiriert: Repent, Consecration, Ancient of Days, Christ Everlasting. Letztlich fand Gayle aber sowohl im Glauben als auch im Leben einen Ort des Friedens. „Es war so schön“, sagte er 2012 gegenüber The Village Voice. „Ich bin über das Wort Glück hinaus. Ich kenne dieses Wort nicht so sehr, weil es zufällig ist, aber es ist sicherlich Frieden. Ich benutze kein Radio, ich höre keine Musik und habe keinen Ton. Ich könnte einfach nur sitzen.“ © Lars Gotrich / npr