Release Date: 14.4.2023. Musik von Valerio Camporini F., Brìghde Chaimbeul, Natural Information Society und weitere

Wir hören eine untypische und faszinierende Filmmusik, eine junge Frau, die mit Ihrem Dudelsack aus der Tradition in das Heute unterwegs ist. Und ein Ensemble, dessen Musik als Grundnahrungsmittel angesehen wird.

Es sind natürlich wieder zu viele Releases, die Heute am 14.4.23 erscheinen und hier ist die Zeit mittlerweile mein Hauptfeind. So findet ihr am Schluss, all jene, für die meine Zeit nicht genügt hat. Und was vor allem auch keine Wertung ist!


Valerio Camporini F. – Sud e Magia / Eiga


„Sud e Magia“ entstand als Soundtrack zu „Sow the Wind“, einem Film von Danilo Caputo, der bei den 71. Berlinale Filmfestspielen 2020 präsentiert wurde.
Der Titel stammt von „Magic: A Theory from the South“ oder „Sud e Magia“ auf Italienisch, einer bahnbrechenden anthropologischen Studie von E. De Martino aus dem Jahr 1959, die das Fortbestehen heidnischer Rituale in den südlichen Regionen Italiens untersucht. Der Film spielt in einer dieser süditalienischen Regionen, in denen das alltägliche moderne‘ Leben mit dem alten Glauben an magische Kräfte verwoben ist, der mit der katholischen Religion und sogar der Wissenschaft koexistiert. Das Buch selbst war eine der Referenzen, die der Komponist und der Regisseur als Ausgangspunkt für den Soundtrack verwendeten. © Text: Label



Es war ein langwieriger Prozess, wir erkundeten verschiedene Wege, hörten viel Toru Takemitsu – vor allem wegen der Verbindung seiner Musik mit der Natur – und entschieden uns schließlich für einige Hauptelemente: eine eigene Tonleiter wurde entwickelt und zum Aufbau einer modalen Harmonie verwendet, die Musik sollte von einem kleinen Ensemble gespielt werden (darunter die relativ unbekannte Paetzold-Blockflöte), und rhythmisch würde ich euklidische Rhythmen verwenden, da ihre zirkulären Qualitäten zu den zyklischen Phasen der Natur passen. Der Einfluss der antiken griechischen Mythologie und ihrer kulturellen Dominanz in der Region war ebenfalls Teil der Komposition.

Valerio Camporini F.


Brìghde Chaimbeul – carry them with us / Glitterbeat


Die schottische Dudelsackspielerin Brìghde Chaimbeul ist eine der führenden Vertreterinnen der experimentellen keltischen Musik. Ihr Dudelsackspiel brachte ihr einen BBC Young Folk Award und einen BBC Horizon Award ein. Ihr zweites Album Carry Them With Us ist ein berauschendes Geflecht aus texturreichen Drones, Trance-Atmosphären und instrumentalen Folk-Traditionen. Der gefeierte kanadische Klangforscher und Saxophonist Colin Stetson ist einer der wichtigsten Mitwirkenden auf dem Album.

Geschichten machen den Menschen aus. Sie formen uns, erklären uns, geben uns einen festen Platz in der Welt. Sie zeigen uns, wer wir sind, unsere Mythen, unsere Hoffnungen, unsere Vergangenheit. Alles hat seine Geschichte.
Geschichten können sowohl in der Musik als auch in Worten erzählt werden, und auf ihrem zweiten Album Carry Them with Us erzählt Brìghde Chaimbeul ihre. Aus ihrem Herzen, aus der schottischen Tradition, die sie geprägt hat. Und jede von ihnen zieht in ihren Bann, wie es sich für eine gute Geschichte gehört. Die schottischen Dudelsäcke mit ihren doppelten Borduntönen drohten in Vergessenheit zu geraten, bevor Brìghde (sprich: Bree-chuh) Chaimbeul, eine gälische Muttersprachlerin von der Isle of Skye, Teil ihrer neueren Wiederbelebung wurde. Für ihr Dudelsackspiel wurde sie mit dem BBC Young Folk Award und dem Horizon Award ausgezeichnet und trat bei der Klimakonferenz Cop 26 in Glasgow vor Staatsoberhäuptern auf. Sie hat das Instrument auf eine globale Bühne gebracht, und mit diesem Album hat sie es über die Folk-Musik hinaus gebracht, indem sie einen Ort entdeckt hat, an dem sich Tradition und Minimalismus treffen und der ihr die Freiheit bietet, mit Klängen zu experimentieren und etwas ganz Eigenes zu schaffen.

Brìghde Chaimbeul: „Der Sound, den er erzeugt, ist der Sound in meinem Kopf, das war es, was ich wollte.“ Ihre musikalische Partnerschaft begann auf Twitter, nicht lange nachdem sie ihr hochgelobtes erstes Album (The Reeling) veröffentlicht hatte. „Er hat etwas getwittert und ich habe angefangen, seine Musik zu hören. Er verwendet Atmosphären, die mich inspirierten. Während des Lockdowns kontaktierte er mich, um etwas für einen Dokumentarfilm aufzunehmen, und ich fragte ihn, ob er sich einen Track von mir anhören würde. Das war im Jahr 2021, und im Juli letzten Jahres kam er für eine Woche zu mir. Wir haben praktisch gleichzeitig geschrieben, aufgenommen und zusammen gespielt. Wenn man bedenkt, dass er völlig unvorbereitet kam, war das, was er erreicht hat, erstaunlich. Die Arbeit mit Colin hat mir so viel gebracht.“


Brìghde Chaimbeul

Selbst der Titel des Albums ist von Geschichten durchdrungen. Der Satz „Carry Them with Us“ stammt vom schottischen Iain Sheonaidh Smus, einem Mann, der alle alten Geschichten auswendig aufsagen konnte. „Wenn jemand nach einer fragte, die er gerade nicht erzählen wollte, sagte er: ‚Ich habe sie nicht dabei'“, sagt Chaimbeul. „Es ist also die Idee, alle Geschichten und Lieder mit uns zu tragen.“
Diese Tradition hat Brìghde Chaimbeul geprägt, und sie trägt diese Geschichte mit Stolz. Aber auf Carry Them With Us zeigt sie, dass ihre Musik jenseits von Etiketten gewachsen ist. Sie mag sich an Folk und Minimalismus orientieren, aber angeführt von den Drones hat sie den Sprung gewagt, neue Geschichten zu erzählen. © Text: Label



Natural Information Society – Since Time Is Gravity / eremite records


Natural Information Society ist ein Musikensemble, das als „ekstatischer Minimalismus“ bezeichnet wird. Die Gruppe wurde 2010 gegründet und wird von dem Multiinstrumentalisten und Komponisten Joshua Abrams geleitet. NPR bezeichnete die Gruppe als „Grundnahrungsmittel“ der Underground-Musikszene in Chicago.


Das nächste Kapitel der Natural Information Society ist da. Since Time Is Gravity, das Natural Information Society Community Ensemble mit Ari Brown, präsentiert eine neue, erweiterte Manifestation des gefeierten Komponisten und Multi-Instrumentalisten Joshua Abrams, der seit fast 15 Jahren, 7 Alben und mehr, als Vorzeige-Ensemble gilt. Zum Kern des NIS, bestehend aus Abrams (Guimbri & Bass), Lisa Alvarado (Harmonium), Mikel Patrick Avery (Schlagzeug) & Jason Stein (Bassklarinette), gesellen sich Hamid Drake (Perkussion), Josh Berman & Ben Lamar Gay (Cornets), Nick Mazzarella & Mai Sugimoto (Altsaxophone & Flöte), Kara Bershad (Harfe) & die lebende Legende des Tenorsaxophons Ari Brown aus Chicago. Live auf Band aufgenommen bei Electrical Audio & The Graham Foundation, Titelbild Vibratory Cartography: Nepantla, von Lisa Alvarado. © Text: Label



George Lewis hat Musik als „Raum für die Reflexion über den menschlichen Zustand“ beschrieben. Dies legt nahe, dass Musik nicht nur eine „Ablenkung“ ist, sondern dass zumindest ein Teil der Musik als Ablenkung von der Ablenkung dienen kann. Sie ist ein Fokus, eine Klarheit, ein Bewusstsein, eine äußere Einladung zur Innerlichkeit, als ob die Musik selbst ein Modell für Form und Kontemplation wäre, ein Organismus, der für uns oder als wir kontempliert. Wenn das eine Möglichkeit ist, und ich bin sicher, dass ich solche Musik gehört habe, dann gehört diese Musik dazu. Wie viele unserer Rhythmen, Melodien und Harmonien (kulturell, historisch, biologisch, psychisch) könnte eine solche Musik in der partikulären Ekstase unseres eigenen Rauschens tragen, übersetzen und transformieren?

– Liner Notes, Stuart Broomer, April 2022 



Ich würde die Filmmusik von Valerio Camporini F. fast schon meditativ nennen und das meine ich absolut positiv. Ich höre die Auseinandersetzung mit dem Werk von Toru Takemitsu, es gibt viel Raum und Stille in dieser Musik. Was wieder untypisch für eine Filmmusik ist und was für mich aber ihre absolute Stärke ausmacht.
Dass eine junge Frau auf einem Dudelsack spielt, das gibt es, vielleicht, wohl nur in Schottland. Dass sie sich allerdings für die Folklore und ihre Traditionen stark macht und wie sie diese in unsere Zeit transportiert, verdient meinen Respekt. Ihrer Musik jedenfalls hat die Zusammenarbeit mit Colin Stetson sehr geholfen, jetzt hat sie einen unglaublichen Sog und ist voller Kraft. Ein faszinierendes Album.
Joshua Abrams zählt für mich ohne Zweifel, zu den wichtigsten Komponisten und Musikern der internationalen Jazzszene. Sein Ensemble „Natural Information Society“ ist schon so etwas wie eine Institution und wenn ich mir die Rezensionen so anschaue, da ist jede Veröffentlichung ein Fest! Mit der illustren Schar an Gästen und vor allem bei den Bläsern, gewinnt die Musik spürbar an Farben und Komplexität. Die sich immer langsam entfaltende Musik lädt zum gemütlich Hören ein. Das eine oder andere Bein darf dabei ruhig bewegt werden. 






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