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Release Tipp: Louise Campbell – Sources / Redshift

Manchmal passiert es und die Musik, die ich höre, spricht mich sofort an, löst etwas in mir aus. Es freut mich, dass Louise Campbell Zeit hatte, meine Fragen zu beantworten und mir erzählt hat, was es mit ihr und dem Sankt-Lorenz-Strom auf sich hat. So schöne Geschichten.


Louise Campbell aus Montréal ist eine musikalische Allrounderin, und ihr Debütalbum Sources verwebt gekonnt mehrere Hauptstränge ihrer vielseitigen künstlerischen Praxis miteinander. Campbells Hauptinstrument ist die Klarinette, und im Laufe der vier Stücke auf diesem Album entwickelt sie reichhaltige und doch weiträumige Klangwelten, indem sie den charakteristischen reinen Klang des Instruments mit Hilfe raffinierter Bearbeitungen sorgfältig überlagert und modelliert.
Während das Eröffnungsstück „Songbird“ langsam anschwillt, offenbart sich ihr unheimliches Gespür für das Verschmelzen mit sich selbst – zweifellos ein Produkt ihrer beträchtlichen Erfahrung als Improvisatorin. Sie fügt zarte mikrotonale Seufzer, stotternde Texturen und ferne Echos zu einem einzigen beschwörenden Bild zusammen.
Die anderen Werke beruhen in ähnlicher Weise auf ihrer intimen Kenntnis ihres Instruments und stützen sich auf ihre unkonventionelle Beherrschung der Ensemblekomposition. Jedes von ihnen baut mit großer Sorgfalt eine lebendige Klangwelt auf, bevor es sich dreht und dem Hörer unzählige unerwartete Wege eröffnet.

Während diese Sammlung sowohl ihr kompositorisches Können als auch ihre Begabung als Musikerin unter Beweis stellt, gibt es noch eine weitere Dimension, die sich aus Quellen außerhalb des rein musikalischen Bereichs speist. Zunächst einmal ist dieses Werk eine persönliche Reflexion über Campbells Beziehung zu den Gewässern, die den St. Lawrence Seaway bilden. Wo „Songbird“ die natürliche Klangkulisse der Georgian Bay nachahmt, ist „Playing Guitar Gear“ eine Hommage an das geschäftige Treiben in Montréal mit seinen Passagen aus wogendem Geplapper. Das kontemplative „Swirl“, das jüngste Werk des Albums, erinnert an Campbells verstorbenen Vater und erforscht das Zusammenspiel winziger Strömungen an den Rändern eines Flusses, und das ausgedehnte Schlussstück „People of The Sea“ entstand während eines Aufenthalts 2019 in Grosse Ile, Magdalen Islands. © Text: Label



Die Musik ist auch das Ergebnis von Campbells zahlreichen Interaktionen mit anderen Kunstformen und kulturellen Aktivitäten. Es ist wichtig zu betonen, dass Campbell viel mehr als nur eine Klarinettistin und Komponistin ist. Ihr Hintergrund in interdisziplinärer Kunst verschiedener Art, in der Bildung, in der Vermittlung von Gemeinschaftskunst und sogar in therapeutischen Kontexten hat ihr geholfen, die tiefe und instinktive Sensibilität für die Atmosphäre zu kultivieren, die Sources durchdringt. Wie Julia Caron von CBC’s Quebec AM einmal bemerkte, „ist ihre Leidenschaft für die Erforschung der Orte, an denen wir leben, durch Kunst, Klang und Geschichten ansteckend“. © Text: Label


Als langjährige Montrealerin liebe ich zwar den Trubel und die Lebendigkeit meiner Heimatstadt, aber ich sehne mich danach, Zeit in der Natur zu verbringen. Ich habe mich für Fernreisen mit dem Fahrrad entschieden, um in die Natur einzutauchen. Dabei hat mich der Sankt-Lorenz-Strom schon immer angezogen – seine Schönheit, seine Erhabenheit, seine sich ständig verändernden Ökosysteme und die Art und Weise, wie das Leben und der Lebensunterhalt der Menschen von diesem riesigen Wasserweg bestimmt werden.

– Louise Campbell via E-Mail


Dementsprechend kann man Sources zwar als reines Album betrachten, aber es ist auch nur eine Facette einer größeren Vision. Diese Werke dienen als Grundlage für eine interaktive Außeninstallation (die am 3. und 4. Juni im TOHU in Montréal zu sehen sein wird), bei der die Musik in unmittelbarer Nähe zu dem Wasser, das sie darstellt, zu hören sein wird. Für diese Erfahrung wird ein System aus kleinen modularen Lautsprechern sowie den in den Handys der Teilnehmer eingebauten Lautsprechern (die durch eine Art QR-Code-Schatzsuche aktiviert werden). In der Zwischenzeit hat Campbell auch einen Sinnesparcours entwickelt, der auf dieser Musik basiert. Der Spaziergang eignet sich für praktisch jedes Alter und für Szenarien, die von der Pädagogik bis zur Gemeinschaft reichen. Er ist sehr partizipativ und leitet die Zuhörer dazu an, auf neue Weise mit ihrer Umgebung in Kontakt zu treten. © Text: Label


Auf diesen Radtouren entdeckte ich, dass die Rückkehr zu meiner Liebe zur Natur irgendwie auch eine Rückkehr zu meinen kreativen Quellen bedeutet. Während die Hektik des Stadtlebens mit jeder Radumdrehung hinter mir zurückbleibt, lausche ich den Klängen um mich herum, und in meiner Vorstellung öffnen sich Zeit und Raum für Musik. Diese Fahrten zum und entlang des Sankt-Lorenz-Stroms sind für mich als Mensch und Musiker lebenswichtig, denn sie geben mir in einer Weise Halt, wie es sonst nichts vermag. Eine Radtour entlang des St. Lawrence River bedeutet, in die Elemente einzutauchen – Wind, Sonne, Regen – und mich an meinen Platz in der Welt zu erinnern, als einen kleinen Teil in einem großen Ökosystem, das nicht nur mich selbst und diesen gewaltigen Fluss umfasst, sondern auch das Kommen und Gehen von Wassersystemen, die jeden Teil des Globus berühren.

– Louise Campbell via E-Mail


Louise Campbell arbeitet als Dirigentin, Kulturvermittlerin, Kunstvermittlerin und Gesundheitstherapeutin für Musiker. Als Komponistin, Performerin und Improvisatorin versucht sie, die Art und Weise, wie wir Musik machen, zu hinterfragen und zu erneuern, indem sie neue Werke mit allen schafft, unabhängig von Alter, Fähigkeiten, Vorkenntnissen oder Ausbildung. Zu ihren Spezialgebieten gehören Improvisation und Kreation mit unausgebildeten Musikern (auch „Laien“ genannt), improvisiertes Dirigieren, interdisziplinäres Schaffen, Auftragsarbeiten und öffentliches Engagement. Sie ist als Performerin, Gastkünstlerin und Dozentin für improvisierte und komponierte Musik durch Kanada, die USA, Frankreich, Deutschland und Brasilien gereist. Zu ihren jüngsten kreativen Projekten gehören Stories of C.A.R.E., eine Podcast-Reihe mit dem C.A.R.E. Centre, einem Freizeitzentrum für Erwachsene mit schweren körperlichen Behinderungen, Fair Jenny Alone, ein Werk aus der Pandemiezeit für einen „Chor zu Hause“, Piece of Mind, eine fortlaufende wissenschaftlich-künstlerische Forschungszusammenarbeit über die Auswirkungen von Musik und Tanz auf Alzheimer und Parkinson, und Sideways, ein Stück für ein räumliches Gitarrenquartett, das von Instruments of Happiness uraufgeführt (und später aufgenommen) wurde. Andere Musik von ihr war im Emerging Filmmaker Program des Cannes Festivals zu hören, in einer Zusammenarbeit mit der Performance-Künstlerin Annie Abrahams, an der Seite des Dichters Ian Ferrier auf dem Album Dark Sky Preserve und im Vorprogramm der Pionierin der elektronischen Musik, Suzanne Ciani.
Campbell war außerdem Gründungsmitglied des Kammerensembles In Extensio und der experimentellen Kammer-Pop-Gruppe Plumes. Sie hat einen MMus in Performance mit Nebenfach Jazz von der Indiana University, einen MA in Musikpädagogik von der McGill University und ein Zertifikat in Shiatsu-Therapie vom Institut Kinéconcept.



Die Ausflüge, die Louise Campbell mit dem Fahrrad unternahm und die sie entlang des Sankt Lorenz Strom führten, waren u.a. die Inspiration für diese Musikaufnahmen. Es wurde ihr dabei auch klar, wie wichtig dieser Strom für die ganze Ökostruktur ist. Er bildet ein Delta, das gerade für die Vögel wichtige Lebensräume bereithält und so gibt es zahlreiche Vogelschutzgebiete. Natürlich wird dieser Strom auch u.a. von den Fischern genutzt. Das alles hat Louise Campbell hörbar gemacht und ist in ihre Musik eingeflossen. Die verschiedenen Signalhörner der Kutter, die Vögel usw. Natürlich hören wir das nicht eins zu eins. Dafür gibt es Assoziationen die das vermitteln. Aber vor allem ist es die Weite dieses Deltas, das in ihrer Musik mitschwingt, eine sehr faszinierende Landschaft.

Mein Lieblingsstück ist das lange “People of the Sea“. Hier arbeitet sie mit ihrem Atem, dem überblasen der Klarinette, verschiedenen Stimmen, sowie minimalen elektronischen Effekten und so klingt es wie der Wind am Strand, die Wellen, die Brandung. Oder wie ein flirren. Wir kennen das alle, wenn sich die Sonne in einem bestimmten Winkel zur Wasseroberfläche befindet und alles auf dem Wasser zu glitzern, zu flirren anfängt. Ein wunderbares Schauspiel. Der Einsatz der elektronischen Effekte ist generell sparsam und nie dominant.

Mir gefällt vor allem, dass sie sich soviel Zeit lässt. Hier ist nichts gehetzt, alles hat die Zeit, die es braucht. Ich Stelle mir gerne vor, wie sich diese Szenerie vor mir ausbreitet, wie mir der Wind entgegen weht und ich die Schönheit dieser Landschaft aufnehme. Das alles vermag die Musik von Louise Campbell.

Ich bedanke mich bei Ihr für ihre Texte und Fotos und hoffe, dass diese sehr atmosphärische Musik viele Freunde findet.



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