Musiktipps

Ulrich Bassenge erinnert sich an Carl-Ludwig Reichert

Mein Freund, Mentor, Kollege und Bandgefährte Carl-Ludwig Reichert ist am 4. September 2023 abends an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben.

Ich kann hier nur Schnipsel seiner merkurialen Begabung (Schriftsteller, Komponist, Musiker, Impresario, Übersetzer, Indigenen-Aktivist …) streifen. Zuallererst: Mit niemand habe ich in mehr Bands gespielt. Sie hießen Druud (niemals dokumentiert), Sparifankal (die dritte, die negamusi-Inkarnation), Dullijöh, wieder Sparifankal (die vierte dahoam-is-woandas-Inkarnation) und zuletzt Wuide Wachl. Für mich ist und bleibt er der größte Lyriker bairischer Zunge, was auch für seine konzisen Songlyrics und freien Nachdichtungen gilt, seien sie von Chuck Berry, Eddie Cochran oder Bo Carter. Nicht vergessen habe ich, wie er mich in der Wachl-Zeit zum Schreiben eigener Songtexte ermuntert hat, die tatsächlich – zumindest nach 16 Jahren – den Test der Zeit überstanden haben.

Sein universalgelehrter & enzyklopädischer Verstand war eine sichere Wegmarke, das begann mit seinen Zündfunk- und Pop-Sunday-Sendungen im Bayerischen Rundfunk, die der Welt Captain Beefheart, Grateful Dead, die Holy Modal Rounders, Geoff Muldaur oder Lora Logic nahebrachten. Analytisch, scharfzüngig, mitunter apodiktisch umriss er seine Vorlieben und Abneigungen. Als (Mit-)Herausgeber der „Rocksession“, eines Jahrbuchs aus der Zeit, als es noch Musikjournalismus gab (!), leistete er Wichtiges.

Mit maximalem Spaß betätigten Carl-Ludwig und ich uns auf dem Höhepunkt des DIY-Booms Anfang der Achtziger im Duett als Zündfunk-Kassettenonkel. Offenen Ohres und losen Mundwerks präsentierten wir abwegigstes Zeug aus den Tiefen der deutschen Provinz (Mainz! Kiel! Solalinden!), von englischen Kassettentätern (Mr. Concept!) oder vom ROIR-Label aus New York.

Eine weitere Verknüpfung zwischen uns waren Literaturtipps (meist von ihm an mich, seltener umgekehrt), mit denen er niemals geizte und die auf fruchtbaren Boden fielen. Auch die Liebe zum Kino des Abseitigen, des Unfähigen und der Transgression teilten wir, selbst wenn ich mir schwer vorstellen kann, wie er als Rot-Grün-Blinder einen Jodorowski-, Refn- oder Radley-Metzger-Film in ihren jeweiligen Farbräuschen rezipierte. Aber was wissen wir überhaupt darüber? Und warum habe ich ihn nie gefragt?

Immer wieder hatten wir lange Pausen, von seltenen Telefonaten unterbrochen, die letzte Pause dauerte bis zu Carl-Ludwigs Tod. Mal rief ich nicht zurück, dann wieder beantwortete er keine Emails. Auf einer Ebene waren wir wohl stets verbunden, wohl auch über ein gemeinsames Außenseitertum. Allerdings war Carl-Ludwig deutlich besser integriert, wie die Abschieds-Honneurs bei seiner BR-Berentung bewiesen. Und er hatte viele Freunde, da ihn viele schätzten, ob Punks oder Literaturwissenschaftler.

Ich behalte Carl-Ludwig im Gedächtnis als einen in jeder Hinsicht freigiebigen (CDs, Filme und Bücher wurden verschenkt, wenn das Regal barst oder das Thema bearbeitet war), mitfühlenden und humorvollen Begleiter vor allem meiner formativen Jahre. Gute Reise, mein Freund. Sit tibi terra levis.

boandlkrama boandlkrama
schaug du hosd grod gnua zum doa
boandlgrama boandlkrama
schenk ma hoid no moi a joa

(clr 2007)

Ulrich Bassenge

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