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Essay: „Hühner, Kohle, Kernkraftwerke“ Gibt es ein ostdeutsches Anthropozän?

Dass man vom Klimawandel stets sagt, er sei vom Menschen gemacht, zeigt, wie sehr sich unser Handeln in den Planeten Erde eingeschrieben hat. Was bedeutet das konkret? Welche Spuren hat etwa die Energiepolitik der DDR hinterlassen? Von Elisabeth Heyne und Alexander Wagner.

Die meisten Analysen zum Anthropozän stützen sich auf westliche Kapitalismustheorien, aber es bleibt offen, welche lokal unterschiedlichen Ausprägungen sich hinter dem Großkonzept verbergen und welche Rolle dabei eigentlich Regionen einnehmen, die bis vor gut 30 Jahren noch gar nicht zu jenem „Westen“ gehörten.

Gerade Ostdeutschland bietet sich zur Erkundung anthropozäner Existenzweisen besonders an, weil es Schauplatz eines – für europäische Verhältnisse – Extrem-Extraktivismus war und ist, von Chemie- und Umweltkatastrophen bis zur postfossilen Transformation und dem politischen Systemwandel. Weil hier in kurzer Zeit und auf kleinem Raum ein rasanter ökologischer, politischer und gesellschaftlicher Wandel passiert ist, lässt sich daran Entscheidendes für die Mensch-Umwelt-Interaktionen der Gegenwart ablesen. Insbesondere lässt sich das ostdeutsche Anthropozän anhand einzelner Orte und ihrer Rohstoffextraktion und Stoffproduktion betrachten, das Ganze also nach Stoffen sortieren: Kohle, Uran, aber auch Erdöl und die Produktion exemplarischer synthetischer Materialien und Stoffe.  



Als Literaturwissenschaftlerin leitet Elisabeth Heyne am Naturkundemuseum das Projekt „Natur der Dinge – Eine partizipative Sammlung des Anthropozäns“. Sie promovierte mit einer Arbeit zu „Wissenschaften dies Imaginären. Sammeln, Sehen, Lesen und Experimentieren bei Roger Caillois und Elias Canetti“ (2020) und beschäftigt sich mit der Amazonassehnsucht, dem Sammeln imaginärer Objekte sowie mit der Verabeitung von Verletzbarkeit und Krankheit in der Gegenwartsliteratur.

Alexander Wagner forscht und lehrt an der Bergischen Universität Wuppertal u.a. zu ostdeutschen Körperkonzepten sowie zur Energiekultur und interessiert sich für die Grenzbereiche von Kunst und Wissenschaft. Er arbeitet als freier Kurator, z.B. für das Projekt „Ostschule“. Er hat Germanistik und Philosophie studiert und über die Kontinuitäten des deutschen Kolonialismus im Nationalsozialismus promoviert.

© Deutschlandfunk, Essay und Diskurs, 16.6.2024

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