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Essay: „Bittersüß“ Von der Lust und der Sucht nach Zucker

Zucker ist etwas Göttliches, Zucker ist etwas Tröstliches, Zucker ist die Erfüllung von Sehnsucht. Zucker bedeutet Wärme, Vertrauen, Geborgenheit, Glück. Er lockt und verführt – und er konserviert und tötet. Von Johanna Rubinroth.

Er hat so viele Facetten, dieser Zucker, und Johanna Rubinroth hat eine On-off-Beziehung mit ihm, seit sie drei Jahre alt ist. Oder fing es schon mit dem Milchzucker in der Muttermilch an? Der lang ersehnte Lolli, das rosa Kaugummi, die Schokolade, die Tränen trocknet … später wird er zum Feind. Der Feind im Kleingedruckten, der Feind in der Zutatenliste. Der, der die Lust zur Sucht macht.

Und was sie nicht schon alles unternommen hat! Zucker-frei-Challenges mit Freundinnen und weniger bekannten Menschen, Chili und Eiswürfel, um zu widerstehen, teure Hypnosen, um doch gelegentlich ein Eis essen zu können, ohne den Wolf, der im Rachen schlummert, zu wecken. Am Ende landete sie in dem kahlen Raum der Anti-Zucker-Selbsthilfe-Gruppe.

Johanna Rubinroth kennt jeden Ersatzstoff, weiß um die Macht der Surrogate und der Sehnsucht, um der allgegenwärtigen Zuckerlobby zu entgehen. Welche Möglichkeiten gibt es, der pittoresken Werbewelt der pastellfarbenen Törtchen und Macarons, die eine heile Welt versprechen, zu entgehen? Diese glitzernden Kristalle, die mal den Reichsten von Europa vorbehalten waren, um die Kriege geführt, für die Menschen versklavt wurden, sind dieselben, durch die heute die prekär Lebenden ihre von Diabetes zerstörten Beine verlieren.



© Deutschlandfunk, Essay und Diskurs, 2.6.2024

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