Musiktipps

SZ Klassik-Kolumne „Wenn Musiker kämpfen“ von Wolfgang Schreiber

Von Gaunern, Flüchtlingen und Zeitreisen: Neuerscheinungen aus der Klassik mit Erich Kleiber, Robin Ticciati und dem Trickster Orchestra.

Politiker lieben Klassikmusik? Kaiserin Maria Theresia schmähte sie. Sie erklärte Sohn Ferdinand, dass Musiker wie dieser junge Mozart, den Ferdinand fördern will, „unnütze Leute“ seien, die „in der Welt herumschwärmen wie Bettler“. Fazit, bis heute: Musiker bleiben politisch wach, sie kämpfen – von Beethoven bis Schostakowitsch. Dirigenten ebenfalls.

Zum Beispiel der große Erich Kleiber, 1890 in Wien geboren, Musikchef der Berliner Staatsoper, dort 1925 am Pult der „Wozzeck“-Uraufführung. Vor den Nazis zu flüchten, die ihn in Berlin halten wollen, sieht er als „Akt geistiger Hygiene“, unaufgefordert geht er ins Exil. Nach dem Weltkrieg will Kleiber an die nun „Ost-Berliner“ Staatsoper zurückkehren, die engstirnige DDR-Politik verhindert es. Kleibers Polydor-Aufnahmen sind „aus der Tiefe des Raums“ der Weimarer Republik bei uns aufgetaucht, beweisen seine musikalische Überzeugungskraft und Integrität. Allein wie er 1927 die „Fledermaus“-Ouvertüre mit der Staatskapelle Berlin musizierte, lässt jene feinmotorische Energie hören, die seinen Dirigentensohn Carlos auszeichnet. Beethovens zweite Symphonie, Schuberts „Unvollendete“ mit den Berliner Philharmonikern, Dvořáks „Aus der Neuen Welt“ von 1929 oder Ouvertüren von Rossini, Nicolai und Berlioz – alles auf den drei CDs deutet, mit „gemastert“ alter Klangqualität, hin auf das emotionale Naturtalent, die Reflexions- und Willensstärke, die Erlebnisfähigkeit und Inspiration eines unbestechlichen Maestros von gestern. (DG)




© Süddeutsche Zeitung, Kultur, 27.9.2021

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