Ein Filmkolumne von Thomas Groh. Masahiro Shinodas Film „Pale Flower“ von 1964 kommt jetzt zum erstenmal überhaupt in deutsche Kinos, nachdem er 2022 in der restaurierten Fassung auf der Berlinale lief. Die Geschichte eines Gangsters und einer Glücksspielerin ist ein Noir par excellence, ein Gedicht aus Licht und Schatten, getragen von einem Ennui am Dasein und einer Schicksalsgeworfenheit, die an die Romane von Albert Camus erinnert.
Der Filmeinstieg ist existenzialistischer Noir par excellence: Tokio, ein Gedicht aus Licht, Schatten, Beton, dazu cooler Jazz. Der Film behält diese verführerische Beiläufigkeit bei, sucht immer wieder nach einer unaufdringlichen Poesie cool-urbaner Nokturnalität. Im Chiaroscuro der Schwarzweißfotografie wird aus einer großen Pfütze auf dem Asphalt, auf der sich das Licht der Straßenlaternen spiegelt, schon mal ein Tor in eine andere Welt.
Dort wird ein Leben ausgelöscht, doch die Welt nimmt keine Notiz davon. Das übrige Leben geht weiter. Nichts hat sich geändert. Sicher, derjenige, der dieses Leben ausgelöscht hat, kommt der Welt eine Zeitlang abhanden. Doch wenn er wieder zurückkehrt, ist alles so, als hätte sich nichts geändert. So jedenfalls sinniert Muraki zu Beginn im Voice-Over. Er ist gerade aus dem Knast gekommen ist und vermag im Tokioter Alltagsleben nichts anderes als eine Wand der Indifferenz zu erkennen. Drei Jahre saß der Yakuza ab – ein Mord aus Loyalität. Loyalität gegenüber einem Gangboss, der eher trüb als beeindruckend wirkt. Als wir ihn zum ersten Mal sehen, sitzt er beim Zahnarzt auf dem Stuhl und gibt Muraki den Tipp, sich doch auch die Zähne richten zu lassen.
© Perlentaucher, Im Kino, 19.5.2023