Jazzkolumne: Louis Armstrong „Der wahre King of Pop“

Einflussreicher als die „Beatles“ und Michael Jackson zusammen: Zwei neue Bücher rücken das Bild von Louis Armstrong gerade. Von Andrian Kreye.

Es gibt kaum ein Schimpfwort, das für Afroamerikaner so schlimm ist wie „Onkel Tom“. Louis Armstrong beschimpften sie immer wieder als solch einen Verräter seiner eigenen Leute und rückgratlosen Kollaborateur mit der weißen Unterdrückergesellschaft. Ausgerechnet den Mann, der den Jazz aus den Nischen von New Orleans in die Mitte der amerikanischen Kultur gerückt hatte. Oder auch gerade deswegen. Weil er immer so viel grinste, was viele als Relikt der Minstrel-Kultur empfanden. Aber auch weil seine Hits wie „Hello Dolly“ und „What a Wonderful World“ ein überwiegend weißes Publikum fanden. Armstrong machte das immer sehr zornig. Es gibt eine Aufnahme aus den späten Fünfzigerjahren, auf der er über einen dieser beleidigenden Zeitungsartikel schimpfte. Da hört man ihn sehr un-„Wonderful World“-mäßig: „And that motherfucker called me an Uncle Tom! Shit. Them son-of-a-bitches, wait til they come to my dance or concert and act a damn fool.“ Vorsichtig übersetzt ereiferte sich Armstrong über den Journalisten und überhaupt über alle, die ihn Onkel Tom nannten, die es nur mal wieder wagen sollten, zu einem seiner Auftritte kommen und sich dort dann danebenzubenehmen.


Rechtzeitig zu seinem 120. Geburtstag am 4. August kamen nun zwei Bücher heraus, die diese Debatte in den richtigen Kontext setzen. Das eine ist von Wolfram Knauer. Der leitet das formidable Jazzinstitut Darmstadt und war 2008 als erster Nicht-Amerikaner Louis Armstrong Professor of Jazz Studies an der Columbia University in New York. Im Juni veröffentlichte er „Black and Blue – Louis Armstrong, sein Leben und seine Musik“ (Reclam-Verlag, Ditzinger, 2021. 256 Seiten, 25 Euro, begleitende Playlist auf Spotify).


„Ich bin kein Freund von Superlativen, aber Armstrongs Hot-Five-Aufnahmen sind die einflussreichsten Platten der Popmusik. Einflussreicher als die Beatles oder Michael Jackson zusammengenommen. Auf diesen Aufnahmen entwickelte er die ganze Idee des virtuosen Gesangs- und Instrumentalsolisten im Pop-Idiom.“

Nicholas Payton

Ricky Riccardi ist Archivdirektor im Louis Armstrong House Museum im New Yorker Stadtbezirk Queens und hat vergangenen Herbst den zweiten Band seiner auf drei Teile angelegten Mammut-Biografie veröffentlicht („Heart full of Rhythm – the Big Band Years of Louis Armstrong“. Englische Originalausgabe, Oxford University Press, Oxford, 2020. 400 Seiten, um die 30 Euro). Das Buch handelt von Armstrongs Aufstieg vom Jazz-Pionier zum Popstar zwischen 1927 und 1947. 

© Süddeutsche Zeitung, Jazzkolumne, 26.7.2021

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