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Essay: „Muskeln und Seele“ Wie das Kino die Arbeiterinnen entdeckte

Von Thekla Dannenberg. In „Die kleinen Ladenmädchen gehen ins Kino“ entdeckte Siegfried Kracauer den Film als Vergnügen für die Angestellten und Arbeiterinnen des frühen 20. Jahrhunderts. Aber das Kino war nicht nur für die Arbeiterinnen da, sondern handelte auch von ihnen.

Denn bevor das Kino bürgerlich wurde, war es proletarisch: Asta Nielsen, aus kleinsten Verhältnissen aufgestiegen zum ersten großen Schauspielstar des deutschen Kinos, verband in ihren Filmen existenzielle Not mit Sinnlichkeit und weiblichem Heldentum, wie es später nur noch der italienische Neorealismus schaffte. Heute ist der moderne Mainstream selbstverständlich politisch, seine Heldinnen sind tough, aber bessergestellt, ihre Körper erscheinen unversehrt von den Zumutungen der Lohnarbeit. Und selbst im feministischen Film haben Queerness, Ethnizität und Postkolonialismus die sozialen Fragen an den Rand gedrängt. Doch manchmal erzählt das Kino auch heute noch von Arbeiterinnen und ihren Lebenswegen, von individueller Emanzipation und solidarischem Miteinander – mal zärtlich wie Aki Kaurismäki, mal wütend wie Ken Loach, mal poetisch wie Agnès Varda, aber immer ergreifend.



Thekla Dannenberg, 1970 geboren, studierte Politikwissenschaft am Otto‑Suhr‑Institut in Berlin, besuchte die Deutsche Journalistenschule in München und arbeitete als Redakteurin bei der taz. Seit 2002 ist sie Redakteurin beim Perlentaucher und schreibt für etliche andere Medien als Autorin und Kritikerin. Sie unterrichtet Filmjournalismus an der Universität Marburg.

© Deutschlandfunk, Essay und Diskurs, 21.04.2024

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