Nachrufe auf Jean-Luc Godard

Ich habe hier einige Nachrufe zusammengefasst, vor allem jene, die man auch gleich lesen kann. Ohne Abo etc.


Regisseur und Kinophilosoph Jean-Luc Godard gestorben. Von Bert Rebhandl.

Der Filmemacher gehörte zu den wichtigsten Vertretern der Nouvelle Vague und hat das Medium der Bewegtbilder über sieben Jahrzehnte nachhaltig beeinflusst.

Im 20. Jahrhundert galt das Kino für eine Weile als die siebente und auch als die letzte Kunst: ein technisches Medium, das Literatur, Theater, Malerei, Skulptur, Musik in sich aufnahm und zu einem Gesamteindruck verband. So richtig ernst hat diesen Anspruch allerdings kaum einmal jemand genommen – mit einer großen Ausnahme: Jean-Luc Godard hat Filmkunst in genau diesem Sinn gemacht, als Gesamtkunst seiner Epoche. Und er blieb damit nicht im 20. Jahrhundert stecken, sondern machte sich bald auf die Spur der Elektronisierung, später der Digitalisierung seiner Kunst.

Als Vermächtnis bleibt nun von ihm ein Bildbuch: Le Livre d’image, so heißt sein Film aus dem Jahr 2018, eine Collage, die das Ganze der menschlichen Zivilisation in den Blick nahm und es gleichzeitig einem Umsturz zuführen wollte. Denn unverhohlen stand am Ende dieses Bildbuchs ein, wenngleich ästhetisch verschlüsselter, Revolutionsaufruf.



© Der Standard, 13.9.2022


Jean-Luc Godard: Der Bilder-Revolutionär. Von Claudia Lenssen

Der Filmemacher Jean-Luc Godard ist tot. Sein Leben lang hat er bildgewaltig gegen den Konsumterror und für eine Kulturrevolution durch das Kino gekämpft.

„Mit dem Kino kann man denken. Mit dem Fernsehen nicht.“ Jean-Luc Godard ließ keinen Zweifel an seinen Prinzipien, der lakonische Satz aus Notre Musique steht für seine lebenslange Rebellion gegen Bilderregime, die er als obszön empfand. Er war ein Genie des Kinos, das in hundert unterschiedlichen Filmen von Liebe und Verrat, Kapital und Arbeit, Politik und Kunst, Mythos und Geschichte erzählte, dieses Erzählen jedoch immer infrage stellte und mit leidenschaftlicher Hassliebe nach den unbewussten Gesetzen einer „wahren Geschichte des Kinos“ forschte. „Une image juste ou juste une image“, die Suche nach dem richtigen Bild anstelle irgendeines Bildes, das die Konsumkultur zementiert, war für den visuell denkenden Moralisten nicht nur ein Geschmacksproblem, sondern eine Entscheidung von eminent politischer Tragweite.



© Zeit Online, Kultur, 13.9.2022


Jean-Luc Godard ist gestorben: Der schweizerisch-französische Filmemacher war eine der legendären Figuren des Gegenwartskinos. Von Patrick Straumann.

Als Mitgründer der Nouvelle Vague und Regisseur von Meisterwerken wie «À bout de souffle» und «Le Mépris» hat sich Godard in die Filmgeschichte eingeschrieben. Er ist 91-jährig gestorben.

Jean-Luc Godard ist gestorben, das Kino soll Trauer tragen! Kein anderer Regisseur hat die filmische Sprache so radikal mit ihren eigenen Möglichkeiten und Grenzen konfrontiert. Seit seinen Anfängen als Mitgründer der avantgardistischen Bewegung Nouvelle Vague brach Godard alle nur erdenklichen stilistischen, grammatischen und dramaturgischen Regeln des Films.

In einem sechs Jahrzehnte dauernden Werkprozess hat er einen zerklüfteten, von brillanten Intuitionen, ästhetischen Wüsten und Meisterwerken durchzogenen Filmkatalog aufgebaut, der weder auf Modellen beruht noch auf Nachfolge zählen kann. Weit über hundert Titel umfasst sein Filmverzeichnis. Er hat Kinoproduktionen geschaffen, aber auch essayistische Arbeiten, Fernsehbeiträge und visuelle Traktate, deren formale Gestaltung oft von einer singulären Auseinandersetzung mit Gegenwart und Geschichte zeugen.



© NZZ, Feuilleton, 13.9.2022


Zum Tod von Jean-Luc Godard: Kampf des Auges mit der Sprache. Von Gregor Dotzauer.

Poesie und Politik im Remix. Der Kinorevolutionär Jean-Luc Godard arbeitete mit den größten französischen Filmstars, pflegte aber sechzig Jahre lang sein Außenseitertum.

Wie er mit widerspenstigem Haar und der ewigen Zigarre als Schnuller durch seine Filme stolperte. Herrscher über ein Universum der Versatzstücke, Fertigteile und Gedankenmeteoriten, in dem er zugleich als Hofnarr auftrat. Imitierte er Groucho Marx? War er ein Zitat seiner selbst? Oder erschien hier der Geist jener Maschine namens Kino, von der er 1990 anlässlich von „Nouvelle Vague“, einer verwirrend schönen Zitatenorgie mit Alain Delon und Domiziana Giordano, ganz gegen bisherige Gepflogenheiten in Anspruch nahm: „Ich habe diesen Film nicht gemacht.“



© Der Tagesspiegel, Kultur, 13.9.2022

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